Heimatliches
Rosa Pflug

Der Mensch hat eine Heimat nur,
sowie ein Herz nur und ein Leben,
die ineinander sich verweben
im steten Wandel der Natur.

Bereits im ersten Lebensschrei
des Kindes klingen helle Töne:
Es grüßt die weite Welt, die schöne,
noch unbeschwert und sorgenfrei.

Da hört es Mutters Wiegenlied
und wundersame Kindermärchen.
Von Heimatliebe singt die Lerche,
vom Heimatlichen raunt das Ried.

Der ersten Lehrerin Gesicht.
Die erste Fibel. Welcher Jubel!
Welch freudetoller Pausentrubel
im strahlenwarmen Sonnenlicht!

Kaleidoskopisch eilt die Zeit...
Der Mensch hat vieles zu bezwingen,
damit aus schaffensreichem Ringen
ein bleibend Lebenswerk gedeiht.

Der Heimat — kühner Träume Flug
und guter Taten edle Triebe.
Es endet unsre Heimatliebe
erst mit dem letzten Atemzug.

Rufe mich
Rosa Pflug

Leise fallen große Flocken nieder,
hüllen Wald und Feld in weiche Decken ein.
Und der Mond macht seine Runde wieder
Silberleich in neblig weißem Schein.

      Rufe mich, du meine Heimat,
      ich kehre von fernher zurück.
      Rufe mich, du meine Heimat,
      ich wünsch mir kein größeres Glück

Auch die zarten Birken träumen leise,
und die dunkle Tannenreihe friedlich winkt.
Eine schlichte, wohlvertraute Weise
Immerfort in meinem Herzen klingt.

Sinnend geh ich durch den Hain und schreite
In die daunenweiche Flockennacht hinein.
Zauberreich aus blütenweißer Seide!
Kann es irgendwo noch schöner sein?

Wenn ich meine liebe Heimat preise,
nehmt es mir nicht übel, Freunde, dieses Wort,
denn die schlichte, wohlvertraute Weise
klingt in meinem Herzen immerfort.

Schneesturmetüde                            

 Rosa Pflug

                 Dem Gedenken
                 an meinen Bruder
                 Johannes PFLUG

Durchs Fenster des Wagenabteils
schimmert die Mondsichel müde,
der Steppenwind bläst den Auftakt
einer Schneesturmetüde.

Nach Ekibastus unterwegs.
Schwermuterfüllte Gedanken ...
Einsame dunkle Sträucher
im Flockengewirbel schwanken.

Vergängliches Menschenleben
von schonungslos kurzer Dauer,
rauscht es vorbei unaufhaltsam,
wie eiskalter Regenschauer.

Wem anderer Wohlergehen
sein Leben lang lag am Herzen,
der lässt in uns Sternensplitter
zurück, und noch helle Schmerzen.

Am Fenster des Wagenabteils
rüttelt der Steppenwind rüde.
Über die schlummernden Felder
braust die Schneesturmetüde.

* * *
Rosa Pflug

Vergib mir, Heimat, wenn du kannst,
dass wenig Bäume ich gepflanzt,
nicht ungebahnte Wege wählte
und niemals zu den Ersten zählte.

Und sei so gütig und vergib,
dass ich bisweilen kleinlaut schwieg
und manche Zeilen hab geschrieben,
die besser ungeschrieben blieben.

Ich hab dich inniglich geliebt
und hoffentlich dich nie betrübt,
hab dir geholfen, wie ich konnt
und nie dabei mich selbst geschont.


Endlos ist mein Leid
Rosa Pflug

Wie die Jahre fliehen —
oh, man merkt es kaum.
Meine Wolgaheimat
seh ich oft im Traum.

Seh die breiten Straßen
und mein Elternhaus,
eile ungeduldig
oft aufs Feld hinaus.

Ob die Ährenhalme
rauschen fern und nah,
ob noch Tulpen blühen
in Antonowka?

Ob die Fenster leuchten
hell bis abends spät?
Ob der alte Ahorn
noch am Dorfrand steht?

Fragen voller Wehmut,
keine Antwort drauf.
Nebelhafte Schatten
fallen schräg hinauf.

Haben sich zerstritten
Traum und Wirklichkeit?
Maßlos ist die Trauer,
endlos ist mein Leid.

Gruss aus der Ferne
Rosa Pflug

Mein Heimatdorf in der Steppe,
mein wogender Wolgafluss,
aus der entferntesten Ferne
sende ich euch meinen Gruß.

Ich grüße die breiten Gassen,
die Bäume vorm Elternhaus.
Auf ihren schwankenden Ästen
ruhen die Stare sich aus.

Ferne Harmonikatöne.
Mondlicht spiegelt der Teich,
und leise zirpen die Grillen
im dichten Rosengesträuch.

Ich grüße auch gerne die Menschen,
obwohl sie mir unbekannt.
Sie bewohnen jetzt unsre Häuser,
und bearbeiten unser Land,

an dem unsre Herzen hängen,
das lieb und teuer uns ist...
Die ungerechte Verbannung
hat keine begrenzte Frist.

Aus der entferntesten Ferne
sende ich meinen Gruß
dem Heimatdorf in der Steppe,
dem wogender Wolgafluss.

 

Das Schicksal
Rosa Pflug

Uns führte das Schicksal
am Gängelband lang.
Wir waren geduldig
und warteten bang.

Wir haben uns selten,
zu selten gesträubt,
von Lügen geblendet,
von Eiden betäubt.

Entschlüsse gewinnen
allmählich Gestalt.
Wir stehen am Abgrund,
verlieren den Halt,

verschmerzen Verluste
und suchen Gewinn mit
Russland im Herzen
und Deutschland im Sinn.


Der abgebrochenen Ast
Rosa Pflug

Der Wind hat abgebrochen
einen Ast vom Baum
und treibt ihn in die Ferne,
in einen fremden Raum.

Der Ast fügt sich dem Schicksal.
Er hat ja keine Wahl
und winkt dem Baum nur traurig
zum allerletzten Mal.

Der Wind treibt in die Ferne
diese leichte Last.
Ob es wohl eine Heimat
gibt für den losen Ast?